Um die Ursachen und Folgen eines Traumas zu verstehen, ist es wichtig, den "Ort des Geschehens" - das Gehirn besser kennen zu lernen.
Die Hauptaufgabe unseres Gehirns ist, unser Überleben zu sichern.
Um dies zu bewerkstelligen, erledigt es viele Aufgaben:
- Es erzeugt Signale, damit unser Körper registrieren kann, was er braucht
(Nahrung, Schlaf, Geborgenheit) - Es entwickelt eine eigene Weltsicht, um zu wissen, wo/wie eigene Bedürfnisse erfüllt werden können
- Es mobilisiert Energie und initiiert Handlungen zur Zielverfolgung
- Es weist uns auf Gefahren und Möglichkeiten hin
- Es passt die Handlungen an die Forderungen an
- Weil wir zur Gattung Säugetiere gehören, können wir nur in Gruppen überleben und sind deshalb angewiesen auf Zusammenarbeit; Hilfestellung, Schutz, Geborgenheit und Sicherheit (Beziehung).
Wir Menschen leiden, wenn
- die Signale den Zweck nicht erfüllen (geben wir uns genug Schlaf?)
- wir keine Orientierung haben (finden wir den richtigen Zugang, um unser Bedürfnis zu erfüllen?)
- wenn wir so blockiert sind, dass wir nichts tun können (starr vor Angst)
- unsere Handlung nicht dem Bedürfnis entspricht (essen anstatt zu ruhen)
- unsere Beziehungen zerbrechen
Unser Gehirn entwickelt sich im Mutterleib von unten nach oben in folgender Reihenfolge:
- Reptilienhirn ältester Teil, Hirnstamm (bei der Geburt voll funktionsfähig)
- limbisches System entwickelt sich grösstenteils erst nach der Geburt
- Neocortex ab dem 2.LJ entwickeln sich die Frontallappen
Reptilienhirn:
- beschäftigt sich mit Innenwelt - ermöglicht Leben und Lebenserhaltung ohne Worte: essen, schlafen, weinen, Temperatur/Hunger/Nässe&Schmerz empfinden, Giftstoffe ausscheiden, Herz- und Lungenfunktion, Hormon- und Immunsystem, stabile innere Balance
Erleben wir ein Trauma, sind diese basalen Grundbedürfnisse beeinträchtigt.
Deshalb dürfen wir besonders achtsam mit uns sein und hinterfragen, welche Bedürfnisse nicht erfüllt sind,
wenn wir zB an Verstopfung/Appetitlosigkeit leiden, Atem- oder Schlafprobleme haben, unerklärliche Schmerzen oder Berührungsüberempfindlichkeit
limbisches System:
- Sitz der Emotionen und des sozialen Verhaltens (gemäss erlerntem Beziehungsmuster)
- hier werden blitzschnell Chancen und Gefahren* registriert, daher sehr ungenau
- hier wird sofort entschieden, was dem Überleben dient oder unwichtig ist
- initiiert bei Gefahr vorprogrammierte Notfallpläne, in die wir nicht eingreifen können
- wird durch Beziehung während der Entwicklungsphase geformt: vorwiegend in den ersten 6 Lebensjahren (entwickelt sich auch danach noch weiter)
- Entwicklung des persönlichen Weltbildes, frühkindlich-naiver Glaubenssätze und daraus folgenden Überlebensmodi
- * die Amygdala, welche Gefahren registriert ist schon ab der 5. SSW aktiv/am lernen
fühlen wir uns geliebt, geborgen und sicher, so spezialisiert sich unser Gehirn auf Spiel, Kooperation und ist interressiert Neues zu erlernen
erleben wir die ersten prägenden Lebensjahren in Angst, spezialisiert sich unser limbisches System darauf, mit Gefühlen von Angst und allein sein-umzugehen und dies zu überleben
Neocortex:
-
beschäftigt sich mit der Welt ausserhalb: Verständnis schaffen, wie die Welt tickt,
wie wir Ziele erreichen, Zeitgefühl, Organisation, Willkür - Frontallappen machen den grössten Teil des Neocortex aus
- entwickeln sich ab dem 2. Lebensjahr zunehmend
- im Alter von ca. 7 Jahren beginnt "die Vernunft", wir lernen uns anzupassen
-
mit Hilfe der Sprache lernen wir Reize einzuordnen (Sinn geben)
und unsere Gefühle auszudrücken (anstatt auszuführen) - Gemeinsamkeiten aufbauen (Kultur, Geschichte), Mitgefühl empfinden
- Kreativität/abstrakt denken: Planen, reflektieren, vorausdenken, Entscheide fällen
Der Neocortex ist lebenslang anfällig dafür, in einer Gefahrensituation, funktionsunfähig zu werden.
Quelle: Bessel van der Kolk - Verkörperter Schrecken
Wichtig zu wissen ist:
- Bei Registration von Gefahr, werden sofort automatisierte Notfallpläne initiiert, in welche wir kognitiv nicht eingreifen können.
- Die Amygdala beurteilt eine mögliche Gefahr sehr global, also ungenau - im Sinne von: lieber einmal zuviel, als einmal zuwenig. (Beispiel Ast, der aussieht wie eine Schlange).
- Im Falle einer (möglichen) Gefahr, ist der Neocortex funktionsunfähig
- wir verlieren in solchen Momenten den Zugang zu unserer Logik und der Sprache. ("sprachloses Entsetzen")
- Die Kultur (das angelernte, gute Benehmen) ist nicht abrufbar (Fluchen, Schreien)
- Die willkürlichen Handlungen/Bewegungen sind eingeschränkt (starr vor Schreck)
- Die Analyse/Handlungsplanung ist blockiert (handeln "kopflos")
- Das Mitgefühl (für sich selbst und andere) ist nicht vorhanden
- Das Zeitgefühl geht verloren
Wenn wir uns im Nachhinein hinterfragen, warum konnte ich dies oder jenes nicht;
weshalb nur hab ich mich so verhalten?!
So wissen wir jetzt, dass das NORMAL ist.
Deshalb dürfen wir liebevoll mit uns sein
TRAUMA KANN MAN IM NACHHINEIN BEARBEITEN
Es ist hierbei wichtig, sich sicher und geschützt zu fühlen, d.h.
in Begleitung: damit die (normale) Stressreaktion sofort beruhigt werden kann.
Wir Menschen sind im Stress darauf angewiesen in Beziehung (geborgen) zu sein,
DAMIT der ZUGANG ZUM NEOCORTEX vorhanden ist
Verstehen
Worte erklärt bekommen für Unerklärliches
Einordnen
Das Geschehnis in einer
vergangenen Zeit "versorgen"
Zuordnen
Erklärt bekommen, dass die Gefahr zu einem BESTIMMTEN Ort/Person gehört
Zusammenhänge verstehen
beruhigt unser Nervensystem
das gibt uns unsere LEBENSKRAFT zurück